Monday 4 December 2006

sein und haben

Wenn man meint schon wirklich weit in der Pampa zu sein, geht es tatsaechlich noch ein Stueck weiter. Eine rotstaubige Schotterpiste fuehrt einen nach zwei Stunden Fahrt von Santa Elena (Autobusanbindung) in das Doerfchen Pauji. Eine Kolonie von Indianern und Mineros (auf der der rechten Seite der Hauptstrasse) und "Colonos", Zivilisationsfluechtigen aus Caracas und Umgebung, mit dem Begriff Hippie sicher ganz gut bezeichnet (auf der linken Seite der Hauptstrasse). Seit den 70ern ist der Ort sowas wie ein Auffangbecken fuer Menschen auf der Suche nach alternativen Lebensmodellen. Das Prinzip Pauji lautet sich treiben zu lassen ("el fluir") und bietet im wesentlichen zwei Highlights.

Zum einen die Familien, die sich dort in den letzten Jahrzenten angesiedelt haben und mehr oder weniger extrem dem Klischee der Blumenkinder entsprechen. Als Tourist verbringt man mal eine Nacht im Haus einer Familie, zieht am naechsten Tag weiter und kann dabei beobachten, was es heisst auszusteigen und ein Leben abseits vom Zivilisationsstress zu fuehren. Die Einnahmequellen der Bewohner beschraenken sich auf den Verkauf der hergestellten Produkte (Artesania, Marmeladen, etc.) an Touristen, abseits davon wird weitestgehend von der Hand in den Mund gelebt: Wasser spenden die zahlreichen Fluesse, Obst und Fruechte wachsen ja sowieso und ein Huhn legt die Eier. Wir hatten im Autobus aus Caracas zufaelligerweise Alejandro getroffen, dessen Eltern seit 30 Jahren in Pauji ihr inneres Karma ausbalanzieren. Der Vater produziert Honig, die Mutter stellt im Batikverfahren Tshirts her - thats it. Ansonsten sind alle bemueht den Fluss positiver Energie am Laufen zu halten: mi casa es su casa (Tueren gibt es nicht). Mit Abstand den haertesten Kurs zur inneren Glueckseligkeit verfolgt die Familie von Ivan. Ihr Haeuschen liegt per Fussmarsch 3h entfernt von Pauji. Vor 9 Jahren haben sich er (Ex-Tourismusunternehmer) und seine Frau (Ex-Anwaeltin) dort niedergelassen, mit mittlerweile zwei Kindern (siehe Foto). Spirituell gesehen wollen sie sich von allen unnoetigen, durch die Konsumgesellschaft aufgezwungenen Wuenschen entfernen, der Lebensstil kann als asketisch beschrieben werden. Absolute Autarkie (abseits von Olivenoel!), die Toechter werden von den Eltern selbst unterrichtet, bei Krankheiten wird mit naturmedizinischen Verfahren der Erfolg gesucht. Ivan ist zwar rational von seiner Mission ueberzeugt, emotional bricht in ihm aber ab und an noch immer die Gebundenheit an das Materielle durch; ich habe schon lange niemanden mehr so gluecklich vor einem Teller (von uns mitgebrachter) Pasta sitzen gesehen. Das ist wie gesagt ein Extrem, auch die Laissez-Faire Hippies sind vetreten, die es sich in der Abgeschiedenheit gut gehen lassen wollen.

Neben den Leuten ist natuerlich die spektakulaere Natur in der Gran Sabana ein Reisegrund. Im Umkreis von 3/4h Fussmarsch um das Dorf herum sind etliche Highlights zu sehen: El Abismo bietet einen nicht enden wollenden Blick auf den Urwald, das Gebruell der Affen in der Nacht und einen Sternenhimmel, der durch kein kuenstliches Licht gestoert wird. El Altar ist ein Mini-Tepui, von dem aus alle Tafelberge der Sabana sichtbar sind. Die Wassefaelle und kleinen Posos (natuerliche Pools) der Fluesse mit ihrem rot-gefaerbtem Wasser... aber seht selbst, auf flickr ist ein groesseres Fotoupdate zu finden.

Kurz vor der Rueckreise nach Caracas sind wir noch nach Brasilien gefahren (20min entfernt von der Busstation in Santa Elena). Die Grenzregion (La linea) ist weitestgehend haesslich, bietet aber ein unschlagbares Feature: unfassbar guenstiges Essen. Ricardo und ich haben fuer 8 Euro inkl. Getraenke gefuehlte zwei Huehner, ein Rind und ein halbes Schwein gegessen. Auch interessant ist die Selbstvermarktungsstrategie von Brasilien als Land von Sonne, Musik und Froehlichkeit: am Grenzuebergang bekommt jeder erstmal drei Kondome in die Hand gedrueckt. Gut gesaettigt ging es dann auf die Rueckreise, auf der uns im Autobus eine neunstuendige Filmvorfuehrung beschert wurde: Shadow Man (steven seagal, was soll man mehr sagen?), Troya, Gladiator, King Arthur - ohne Unterbrechung und mit nicht kontrollierbarer Beschallung ueber die Lautsprecher an Bord. Suesse Traeume.

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